Das Symbol
Der
heftige Streit über die Windkraft steht für die Auseinandersetzung über die
Wirtschaft der Zukunft
Von
Wolfgang Kessler
Die
Windkraft ist ein Symbol - zu besichtigen in Magdeburg. Lange war die Hauptstadt
von Sachsen-Anhalt auch die Hauptstadt des Schwermaschinenbaus. Zu DDR-Zeiten
arbeiteten 13 000 Beschäftigte im Schwermaschinenbau-Kombinat Ernst Thälmann.
1996 meldete die letzte Firma dieser Branche Konkurs an.
Doch
inzwischen herrscht zumindest in einigen der alten Fabriken wieder Leben. 2500
Beschäftigte fertigen dort Generatoren, Rotorblätter, Schaltschränke sowie
Stahl- oder Betontürme für Windkraftanlagen. Weitere 2500 arbeiten für
Zuliefererbetriebe in der Umgebung. In Sachsen-Anhalt boomt die Windkraft und
mit ihr der Windkraftbau. Zwar sind die Arbeitsplätze durch die Förderung der
alternativen Energie subventioniert; doch die Subventionen sind bei weitem nicht
so hoch wie etwa jene für die Chipfabrik in Dresden. In Magdeburg hat die
Windkraft Symbolkraft: Sie steht für den Einstieg in eine neue technologische
Entwicklung - und in ein neues industrielles und energiepolitisches Zeitalter.
Symbolkraft hat auch der gegenwärtige Streit über die Förderung der Windkraft.
Natürlich sollte die Windkraft nur in bevorzugten, windreichen Lagen
subventioniert werden. Natürlich sollte die Förderung von Jahr zu Jahr gesenkt
werden, um Probleme wie in der europäischen Agrarwirtschaft zu vermeiden. Beides
bestreitet niemand. Bei dem Streit über die Subventionen für die Windkraft geht
es jedoch um mehr: Es geht um die Wirtschaft der Zukunft.
Denn
jene Politiker und Wissenschaftler, die lieber auf längere Laufzeiten von
Atomkraftwerken und auf geringere Steuern für Benzin und Diesel setzen, haben
ein bestimmtes Wirtschaftsmodell vor Augen: Geringere Energiekosten und - wenn
möglich - geringere Löhne sollen die Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Wirtschaft steigern und für mehr Absatz von Autos, Chemie und Maschinen im
Ausland sorgen. Die so erzielten Einkommen sollen das Wachstum in Deutschland
stärken, damit es "Arbeit, Arbeit, Arbeit" schafft - davon träumt
Bundespräsident Horst Köhler. Bei der Strategie ist die Förderung von
Erneuerbaren Energien eine Verschwendung knapper Ressourcen.
Doch
die kecken Träume von möglichst hohem Wirtschaftswachstum auf der Basis von
billigem Öl und niedrigeren Löhnen sind der Versuch, die Zukunft mit der
Vergangenheit zu gewinnen. Er ist zum Scheitern verurteilt. Schon die Hoffnung
auf viel mehr Arbeitsplätze durch mehr Wachstum wird in vielen
Wirtschaftssektoren nicht in Erfüllung gehen. Zu rasant ist der technische
Fortschritt: 1993 produzierten 7,5 Millionen Beschäftigte in der Industrie einen
Umsatz von knapp 1000 Milliarden Euro, heute produzieren nur noch sechs
Millionen 30 Prozent mehr. Bei dieser Produktivitätssteigerung bräuchte
Deutschland dauerhafte Wachstumsraten von vier oder fünf Prozent pro Jahr, um
die Arbeitslosigkeit nennenswert zu verringern. Solche Wachstumsraten sind
unrealistisch und ökologisch nicht zu verantworten.
Hinzu
kommt, dass die Voraussetzung für diese Wirtschaftsstrategie nicht mehr gegeben
ist: billiges Öl - und billige Rohstoffe überhaupt. Denn Schwellenländer wie
China, Indien oder Brasilien industrialisieren rasch. Entsprechend schnell
wächst ihre Nachfrage nach Rohstoffen. Die Preise für Öl, Kohle und Metalle
explodieren. Gemessen am Pro-Kopf-Verbrauch ist China noch ein industrieller
Zwerg. Doch belegt das Land als Ölschlucker weltweit bereits Platz zwei hinter
den USA. Zwischen 1997 und 2007 dürfte sich der Ölverbrauch Chinas verdoppeln -
und Indien wird nachziehen.
Daraus
ergeben sich sowohl ökologisch wie auch ökonomisch enorme Herausforderungen für
die ganze Welt. Die Industrialisierung der Schwellenländer wird das Weltklima
weiter aufheizen, wenn die Industrieländer nicht in gleichem Maße Treibhausgase
vermeiden. Und der Ölpreis wird ebenso rasant weitersteigen wie die Preise der
anderen Grundstoffe - einschließlich von Uran.
Diese
Entwicklung verändert die globalen Wettbewerbsbedingungen. Energie-intensive
Wegwerf-Gesellschaften sind zum Scheitern verurteilt. Bestehen werden
Volkswirtschaften, die relativ schnell auf eine sozial und ökologisch
nachhaltige Wirtschaftsweise mit einem möglichst geringen Verbrauch an fossilen
Energien (und an Uran) setzen. Das erfordert eine andere Wirtschaftspolitik.
Notwendig sind massive Investitionen in die Reduzierung des Energieeinsatzes.
Bereits vor zehn Jahren wiesen Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory und Hunter
Lovins in ihrem Buch Faktor Vier nach, dass man den Wohlstand verdoppeln und den
Umweltverbrauch gleichzeitig halbieren könnte. Jetzt wird es Zeit, diese
Möglichkeiten auszuschöpfen.
Genau
so wichtig sind massive Investitionen in Erneuerbare Energiequellen. Nach
Berechnung des Bundesumweltministeriums könnte Deutschland bis 2050 rund 65
Prozent des Stromverbrauchs und 50 Prozent des Wärmebedarfs aus Erneuerbaren
Energie decken. Noch sind diese Ziele nicht in Sicht, doch ein Anfang ist
gemacht. Vor allem mit Hilfe der Windenergie konnte der Anteil der Erneuerbaren
Energiequellen am Stromverbrauch in fünf Jahren auf gut acht Prozent verdoppelt
werden. Deutschland ist Marktführer in der Windenergietechnik - und inzwischen
auch Solarweltmeister.
Die
entschiedene Förderung der Windenergie ist denn auch ein wichtiges Element einer
nachhaltigen Wirtschaftspolitik für das Zeitalter nach dem billigen Öl. Andere
Elemente müssen hinzukommen: die Förderung des öffentlichen Verkehrs und neuer,
energiesparender Fahrzeugtechniken; Investitionen in langfristige Produkte statt
energieintensiver Wegwerfwaren und die Stärkung regionaler
Wirtschaftskreisläufe, weil der Transport rasch teurer wird.
Die
nachhaltige Wirtschaftsweise wirkt sich keineswegs negativ auf den Arbeitsmarkt
aus. Statt Wegwerfprodukte in durchrationalisierter Massenfertigung mit wenig
Arbeitsplätzen herzustellen, wird die Wirtschaft bei einem verteuerten
Energieverbrauch nun kleinteiliger und langlebiger produzieren.
Dienstleistungen, Service und Reparaturarbeiten gewinnen stark an Bedeutung, da
langlebige Techniken gewartet werden müssen, während kurzlebige Produkte
weggeworfen werden. So wird der Weg von einer fossilen Industrie- zu einer
solaren Dienstleistungsgesellschaft frei, die auch künftigen Generationen ein
würdiges Leben bietet.
Viele
Menschen fragen sich, ob ein Land alleine diesen Weg überhaupt einschlagen kann.
Die Antwort lautet: Die globale Wirtschaftsentwicklung wird dafür sorgen, dass
diese Wege beschritten werden müssen. Wenn die Preise für Erdöl und andere
Rohstoffe steigen, wächst der Bedarf an Alternativen weltweit. Dann werden jene
Länder globale Handelsvorteile haben, die rechtzeitig Technologien zur
Reduzierung traditioneller Energien entwickelt und "Erneuerbare" frühzeitig
gefördert haben. Die Globalisierung wird dafür sorgen, dass die Letzten unter
den Volkswirtschaften bestraft werden.
Und
die Letzten werden die sein, die sich zu lange der Zukunftsfähigkeit verweigert
haben, weil ihnen die traditionelle Wachstumsideologie wichtiger war.
Der
Autor, gelernter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, ist Chefredakteur der
kritisch-christlichen Zeitschrift Publik-Forum. Er ist Mitverfasser des
aktuellen Buches von Frankfurter Rundschau und Publik-Forum: "Wider die
herrschende Leere. Neue Perspektiven für Politik und Wirtschaft."